Umgang mit Übertragungsprozessen und Reinszenierung

Übertragungsprozesse finden in jeder menschlichen Interaktion statt: Der Mensch tritt mit all seinen früher gemachten Beziehungserfahrungen mit anderen Menschen in Kontakt. Erinnerungen werden dabei auf aktuelle Situationen generalisiert und führen zu ähnlichen Erwartungen. Diese z.T. nicht mehr bewussten Erfahrungen, Gefühle und Wünsche beeinflussen jeden Kontakt. Die Gegenübertragung ist die unbewusste Reaktion des Gegenübers darauf. So wirken frühere Beziehungserfahrungen auf jetzige Beziehungen.

Gefangen

Traumatische Beziehungserfahrungen beeinflussen diese normalen kommunikativen Beziehungsabläufe zwischen Menschen extrem. Sie haben enorme destruktive Kraft und verhindern eine gesunde Beziehungsgestaltung im Hier und Jetzt.

Die Kinder und Jugendlichen übertragen permanent ihre traumatischen Beziehungserfahrungen. Dies geschieht auch in objektiv sicheren Situationen. Traumatische Übertragungen binden die Kinder und Jugendlichen häufig so sehr an die Erlebenswelt des Traumas, dass alte Erlebensinhalte reinszeniert werden. So führen Kinder und Jugendliche bspw. Täterhandlungen aus oder verhalten sich weiter so, wie dies in der früheren traumatischen Situation von ihnen erwartet wurde.

Die Reinszenierung ist eine der wichtigsten Anpassungsreaktionen auf extreme Stresssituationen (vgl. Wöller, 2005).

Übertragung

Als Bewältigungsversuch führen die Kinder und Jugendlichen unbewusst traumaähnliche Situationen herbei und versuchen dadurch die früheren unverarbeiteten traumatischen Erlebnisse nachträglich zu bewältigen. Diese Mechanismen führen dazu, dass die Beziehungsgestaltung der Kinder und Jugendlichen erheblich beeinträchtigt ist und können außerdem Reviktimisierung und weitere auffällige Verhaltensweisen nach sich ziehen.

Traumatische Übertragungen und Reinszenierungen führen zusätzlich dazu, dass auch für Bezugspersonen die traumatische Überforderung und die affektive Überflutung spürbar werden. Das Gegenüber erlebt oft unvorbereitet und unwissend die traumatischen Gefühle (bspw. Wut, Angst, Ohnmacht, Verwirrung, Hilflosigkeit). Im Prozess des Nachfühlens werden die Betroffen dadurch selbst mit unerträglichen Gefühlen überflutet, die sie nicht einordnen oder verstehen können. Sowohl bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen als auch beim Gegenüber führt dies im weiteren Prozess zu Verwirrung und Unsicherheit. Das kann heftige Abwehrreaktionen auslösen und bis zum Abbruch der Beziehung gehen.

Für die Kinder und Jugendlichen wiederholen sich so die schädigenden Beziehungserfahrungen (Retraumatisierung). Ein professioneller Umgang mit Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen ist daher für die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen aber auch die der Bezugspersonen von enormer Bedeutung.

Damit bindungstraumatisierte Kinder und Jugendliche positive und sichere Beziehungserfahrungen machen können, müssen sich ihre Bezugspersonen auf die traumatischen Übertragungen einlassen und mitfühlen können, gleichzeitig aber auch in der Lage sein, diese Gefühle richtig einzuordnen.